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Tanz Resonanz – Künstlerische Weltbeziehung in Bewegung

Fachtagung & Symposium

AKTUELLES & TERMINE 9 Fachtagung & Symposium 9 Tanz Resonanz – Künstlerische Weltbeziehung in Bewegung

25.-27. September 2025.

Symposium der Gesellschaft für Tanzforschung in Kooperation mit der Abteilung für Musik- und Bewegungserziehung/Rhythmik und dem Artistic Research Center 
der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw) 
sowie dem Institut für Theater, Medien u. Populäre Kultur der Universität Hildesheim

Ort: Wien

Call for Papers:

In seiner „Soziologie der Weltbeziehung“ (2016) entwirft Hartmut Rosa einen „Resonanz“-Begriff, der davon ausgeht, dass es im Leben vor allem auf die Qualität ankomme, mit der wir uns mit der (Um-)Welt und unseren Mitmenschen in Beziehung setzen. Solche Weltbeziehungen sind einerseits von einer Affizierung „im Sinne der Fähigkeit und Erfahrung eines ,Berührtwerdens‘ durch Anderes, ohne durch dieses Andere dominiert oder fremdbestimmt zu werden“ (2019: 45) geprägt. Andererseits gehen sie mit einem Gefühl von Selbstwirksamkeit „im Sinne der Fähigkeit und Erfahrung, dieses Andere zu berühren oder zu erreichen, ohne über es zu verfügen oder es zu beherrschen“ einher (ebd.). Vor diesem Hintergrund können sich Transformationen als wechselseitige Anwandlungen entwickeln, für die ein „Sich-Einlassen auf die Dinge sowie die Bereitschaft, sich selbst zu verändern, sich gleichsam aufs Spiel zu setzen“ (Rosa 2016: 433) erforderlich ist. Unverfügbarkeit meint in diesem Zusammenhang, dass diese Transformationen ergebnisoffen sind, da die Autonomie und Differenz aller an diesen Prozessen Beteiligten gewahrt bleiben muss.
Rosa bezieht sich in seinen Ausführungen immer wieder auf Musik als einem essentiellen Medium einer derart sinnlich geprägten Weltaneignung, durch das wir zu einem resonierenden „Klangkörper“ unserer Umgebung avancieren können – während er dem Tanz kaum Beachtung schenkt. Hieran anknüpfend möchten wir fragen, ob und inwiefern Resonanz ein passendes Konzept für den Tanz darstellt: sind es nicht gerade Bewegungen, die selbstverständlich auch Klänge hervorbringen oder mit Klängen in Verbindung stehen können, aus denen ein sinnhaftes In-Beziehung-Treten zur Welt erwachsen kann? Inwiefern können durch Choreografien oder Improvisationen solche Resonanzen entstehen? Und, wenn „Musicking“ (Small 1998) eine (klingende) Tätigkeit ist, die (nachklingende) Beziehungen und Bedeutungen stiftet (vgl. hierzu auch Müller-Brozović 2024), müsste es dann nicht auch so etwas wie ein „Movecking“ als eine von Bewegungen/Tanz geprägte Tätigkeit geben, die gelingende Beziehungen herstellt? Oder birgt die Leerstelle in Rosas Resonanz-Theorie das Potenzial, eine dezidiert kritische Position in Abgrenzung an die, mitunter vereinfachende Sicht von allumfassenden Weltbeziehungen, vorzuschlagen? Inwiefern kann Tanz künstlerisch gestaltete Weltbeziehungen nicht nur in Bewegung halten, sondern Resonanz auch explizit dekonstruieren?
Vor diesem Hintergrund sollen neben den theoretisch-reflektierenden Zugängen (z.B. aus ästhetischen, soziokulturellen, sozioökonomischen und ökologischen Perspektiven) auch explizit künstlerische bzw. künstlerisch-forschende Ansätze, insbesondere aus dem Bereich des Artistic Research, aufgegriffen werden.

An der Schnittstelle dieser aktuellen Themensetzung fragt die Tagung zudem nach „historischen Resonanzachsen“, die zwischen Vergangenheit und Zukunft vermitteln (Rosa 2021). Von besonderem Interesse wird dabei die vor 100 Jahren (1925) aus Hellerau bei Dresden nach Laxenburg bei Wien übersiedelte, ursprünglich von Émile Jaques-Dalcroze gegründete „Bildungsanstalt für Musik und Rhythmus“ sein. Das neue Leitungsteam rückte die Körperbildung in den Vordergrund. 1939 wurde Hellerau-Laxenburg vom NS-Regime geschlossen. Trotzdem übte diese Bildungsstätte auf nationale wie internationale Reformbewegungen und Tanzavantgarden einen nachhaltig „resonierenden“ künstlerischen und pädagogischen Einfluss aus. Welche Parallelen lassen sich zwischen den historischen und aktuellen gesellschaftlichen bzw. soziokulturellen und gesellschaftspolitischen Kontexten und damit verbundenen künstlerischen Fragestellungen ziehen?

Folgende Themenfelder bilden Schwerpunkte, schließen jedoch weitere Aspekte der Symposiumsthematik nicht aus:
– Resonanz als multisensorischer Begriff: wie kann der Körper mithilfe von verschiedenen Sinnen mit der ihn umgebenden Welt in Beziehung treten? Wie werden darüber die Dominanzen einzelner Sinne in Frage gestellt? Wo ergeben sich Schnittstellen zur aktuellen Praxis inklusiver Kunstpraktiken in Form von „Aesthetics of Access“ (Sealey 2012)? Inwiefern kann dabei ästhetische Erfahrung mit Praktiken von „Care“ verknüpft werden, wie dies beispielsweise Yuriko Saito (2022) vorschlägt?
– Resonanz als gemeinschaftsstiftender Begriff: wie wurde/wird Gemeinschaft mithilfe von (körperlichen) Weltbeziehungen konstruiert, welche politischen Implikationen stecken im „In-Beziehung-Treten“ von Körpern? Welche Formen und Beispiele finden sich im (post)modernen und zeitgenössischen Tanz – und wo liegen die Schnittstellen zu Partizipation und Vermittlung? 
–  Wo zeigen sich Schnittstellen mit einer historisch-resonierenden Praxis: Wie lassen sich über Tanz/ Bewegung und/oder Musik – etwa in Anlehnung der von Jaques-Dalcroze begründeten „Rhythmik“ oder anderen „Praktiken“ – sinnstiftende Weltbeziehungen herstellen, die nachhaltig resonieren? Mit welchen Kulturtechniken suchte man in den 1920er und 1930er Jahren einem als „entfremdet“ wahrgenommenen Körper zu begegnen – und welche Resonanzbewegungen werden heute vorgeschlagen, um sinnhafte Weltbeziehungen zu bewahren oder herzustellen? Und inwiefern lässt sich Rosas Resonanz-Begriff vor diesem Hintergrund auch kritisch perspektivieren?
– Ökologie: Der Resonanzbegriff versteht menschliche Subjekte in Relation zu ihrer Umgebung und wendet sich zugleich dezidiert gegen einen rein ressourcenorientierten Umgang mit der „Umwelt“. Dies bietet Anschlussstellen, um das Konzept der Resonanz posthumanistisch zu erweitern. Hieran ansetzend fragt die Tagung nach Verflechtungen von Menschen und Nicht-Menschlichem in einer ökologischen und planetarisch-feministischen Dimension von Resonanz (Gayatri Chakravorty Spivak, Margarita Tsomou).
– Wie zeigen sich insbesondere im Tanz Fragen von In-Beziehung-Treten als queere Praxis? Und wie kann eine queere Befragung von Tanzgeschichte andere historische Resonanzachsen hervorbringen?
– Wie zeigt sich „Resonanz“ aus de/postkolonialer Perspektive und welche kritischen Erweiterungen ergeben sich hieraus? Wo ist ein In-Beziehung-Treten von Machtdynamiken und Hierarchien geprägt und wie ließe sich dieses dekonstruieren? Zu denken wäre etwa an die „Philosophie der Weltbeziehung“ von Édouard Glissant, der ein relationales „Denken des Bebens“ proklamiert, das ebenso in und als „Schwingung“ wirkt (Glissant, 2021: 45).

Call for papers:
Das Organisationsteam freut sich über zahlreiche Einreichungen zu verschiedenen Formaten: Vorträge (20 min), Panels (60 min), Workshops (45-60 min), Lecture Demonstrations (30 min), Lecture Performances (30 min), Poster. Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Bitte senden Sie eine Beschreibung des Vorschlags (max. 3000 Zeichen inkl. Leerzeichen) und eine Kurzbiografie (max. 500 Zeichen inkl. Leerzeichen) unter Angabe des Präsentationsformats bis zum 30. April 2025 an: resonanz@mdw.ac.at

Literatur:
Glissant, Édouard (2019). Philosophie der Weltbeziehung. Poesie der Weite, Heidelberg. 
Müller-Brozović, Irena (2024). Das Konzert als Resonanzraum. Resonanzaffine Musikvermittlung durch intensives Erleben und Involviertsein, Bielefeld.
Rosa, Hartmut (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin;
ders. (2021). „Best Account. Skizze einer systematischen Theorie der modernen Gesellschaft“, in: Spätmoderne in der Krise. Was leistet die Gesellschaftstheorie?, hrsg. von Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa, Berlin, S. 151–251.
Sealey, Jenny/Lynch, Carissa Hope (2012): „Graeae: An Aesthetic of Access – (De)Cluttering the Clutter“, in: Identity, Performance, and Technology. Practices of Empowerment and Technicity, hrsg. von 
Susan Broadhurst und Josephine Machon, Basingstoke, S. 60–73.
Small, Christopher (1998). Musicking. The Meanings of Performing and Listening. Hanover, N.H.
Saito, Yuriko (2022): Aesthetics of Care. Practice in Everyday Live, London.

Konzeption/Planung/Durchführung: 
Dominika Cohn, Vera Djemelinskaia, Stephanie Schroedter, Anna Wieczorek 

 

Weitere Informationen: resonanz@mdw.ac.at